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Stephan allein unterwegs

Meine Joggingstrecke

Meine Joggingstrecke

Gestern Nachmittag konnte ich mit Stephan nochmals sprechen. Er war gerade dabei seine Windfahne einzustellen und alles zurechtzuzurren, nur noch die Leine an der Mooringboje lösen, dann kann es bei ihm losgehen. Eine letzte App „Ich segle, es ist so schön“.

Am Morgen hatte er noch eine Überraschung, denn er lag nicht mehr an der Mooringboje wie vor seinem Ausflug nach Blumenau, sondern an einer Festmachertonne, wo normalerweise die Fischerboote lagen. Wie kommt denn das, fragte er sich? Die Chenoa wollte anscheinend mit der Mooringboje an Land, sprich der Betonklotz war zu klein für die Chenoa, und das sahen die Fischer, auch dass niemand auf dem Boot war – und zum Glück war das Mooringfeld ja so groß, dass niemand im Wege stand. So nahmen die Fischer kurzerhand die Chenoa in Schlepptau mit ihrem Boot und legten sie an ihre große Boje. In der Nacht fiel es Stephan nicht auf als er nach seinem Ausflug aufs Boot kletterte, aber am Morgen kamen die Fischer zu Stephan und erklärten ihm die Situation. Was für ein Glück und was für nette Menschen! Stephan lag da ja zwei Tage und alles war gut. Und kaum ist er weg – sogar mit dem Ziel, mal eine Nacht in einer Pension zu schlafen – und schon geht Chenoa auf Wanderschaft. Das sind halt die Sachen, die man eigentlich fürchtet, wenn man das Boot verlässt für einen Landgang und deshalb gehen viele Segler bzw. Skipper nicht gerne an Land. Das sollte man eigentlich nur längere Zeit tun, wenn das Boot in einer Marina sicher und bewacht liegt (vor allem in Brasilien, obwohl Stephan und ich ja eigentlich sehr schöne und gute Erfahrungen gemacht haben). Im Nachhinein plumpste Stephan wiederum das Herz in die Hosen, aber die Erleichterung überwog.

Immer wenn Stephan auf längere Tour geht, fällt mein Herz in die Hosen. Wenn die Winde gut sind, möchte er auch so weit wie möglich in den Süden fahren, am liebsten gleich bis nach Uruguay, denn nach Florianapolis kommen nur noch lange Sandstrände mit hohen Surferwellen, nichts zum ankern jedenfalls. Die erste gute Anlandemöglichkeit ist dann Punta del Este, also schon um die Ecke in Uruguay. Und das sind noch rund 750 Seemeilen bis dorthin. Manche schaffen das bei guten Nord/Nordwest oder –ostwinden in rund 7 Tage. Doch der Nordwind lässt auf sich warten, bis jetzt ist nur Südwind angesagt, also genau auf die Mütze der Chenoa. Es wird also keine gemütliche Strecke für Stephan sein und ich bin immer heilfroh, wenn ich von ihm über unsere Pactormodem per Funk von ihm eine E-Mail bekomme. Dennoch wache ich auf und denke an ihn und sehe ihn im Cockpit, so wie ich ihn gesehen habe, wenn ich nach meiner Freiwache aus der Kajüte kroch, noch etwas verschlafen mich in den Anzug reinstellte, Stephan ein Bussi gab als Wachwechselzeichen und Stephan müde in die Koje wankte und in das von mir vorgewärmte Bett (letztes Jahr war es ja im Mittelmeer nachts noch empfindlich kalt – so wie es auch jetzt wieder wird). Wenn ich daran denke und wie es ihm wohl geht, geht es mir dann nicht sehr gut und ich wünschte mich dann bei ihm. Aber ich weiß, dass ich es nicht kann und ihm auch keine große Hilfe wäre, da meine Angst einfach zu groß geworden ist. Trotz allem habe ich mein Aufgeben immer noch nicht ganz überwunden in und trotz des schönen Maiwetters hier in Esslingen, fühle ich mich manchmal traurig und allein und wäre gerne bei ihm.

Stephan, so hat er mir in Brasilien versichert, genießt das Alleinsegeln sehr und deshalb macht er die Strecke bis Uruguay auch ohne Mitsegler. Ab Uruguay geht es aber dann in die südlichen Regionen und die Roaring Fourties. Da freut er sich, wieder ein neues Crewmitglied zu haben. Wenn er im Juli/August in Deutschland ist, wird Kontakt aufgenommen und die Strecke besprochen, sich gegenseitig begutachtet, ob man sich bei der Enge des Bootes und der rustikalen Einfachheit versteht. Die Strecke wird nicht einfach werden und dazu braucht er jemand, der mit Wind, Wetter, Kälte, einsamen Buchten mit viel Wind, in der die Chenoa dann mit vielen Landleinen spinnenartig befestigt wird, auskommt. Das alles mit unserem Bananaboot, immer noch ohne Außenborder, ist sicherlich eine weitere Herausforderung – alles andere war dagegen eine Übung auf dem Ponyhof.

Manchmal frage ich mich, wie kann ich damit umgehen, dass Stephan so ein Abenteurer ist. Aber geht es nicht vielen so, die ihren Partner verabschieden müssen, wenn er auf einen Berg steigt, mit dem Leichtflugzeug in die Lüfte steigt oder segelt? Wie ging es Frau Erdmann, deren Mann fast ein Jahr lang nonstop gegen den Wind unterwegs war und kein Pactormodem hatte oder eine Möglichkeit zu kommunizieren (außer mit einem Satelitentelefon, das er zweimal benützte? Wie geht es Frau Masekowitz, als sie hörte, dass ihr Mann, der auch die Welt nonstop umsegeln wollte, zwischen Südafrika und Argentinien ins Cockpit stürzte und sich einen komplizierten Beinbruch zuzog und mit starken Schmerzen  sechs Tage bis nach Südafrika segeln musste? Wie kann ich damit umgehen, ohne dabei immer in Angst zu leben? Stephan sein lassen und trotzdem ihm helfen, wo er Hilfe braucht? Wie kann ich die Zeit, bis er seine Segelleidenschaft gestillt hat, sinnvoll ausfüllen und mein Leben leben?

Zum Glück habe ich mich nach gut 9 Monaten wieder hier in Deutschland eingefunden. Meine Freundin, die mich aufnahm, hat mir dabei sehr geholfen. Es war schön und gut, nicht alleine zu sein, wenn die Angst zu groß wurde oder mein Trauma wieder kam. Eine Runde Skip-Bo half. Ich konnte mir in Ruhe wieder eine Stelle suchen, die erste war kurz, aber es war doch eine sehr monotone Angelegenheit, obwohl die Stellenanzeige interessant klang. Meine neue Stelle liegt mir sehr viel mehr, ich habe nette Kolleginnen und Kollegen und bin in Kontakt mit Menschen, die Projektarbeit macht mir Spaß. Von daher fühle ich mich wohl. Viele Freunde begleiten meinen Weg, laden mich ein, wir gehen aus, wandern und so vergesse ich manchmal meine Sorge um Stephan. Bis im Herbst werde ich dann auch eine schöne Wohnung beziehen dürfen, die ich über liebe Freunde vermittelt bekam. Ein Traum von Wohnung, sie wird mir helfen, mein Leben weiter zu leben ohne auf Stephan zu warten (wenn er denn kommt, wäre das Leben dann wieder perfekt.)

Manchmal lese ich in den Blogs anderer Segler, denen wir auf unserer Reise begegnet sind. Ein Pärchen wird nach einem Ausflug auf die Kanaren, wieder ins Mittelmeer segeln und dort nächstes Jahr ihre Segelreise beenden, ein anderes ist nun in der Karibik angelangt und genießt die Reise und werden wohl im Herbst weiter durch den Panamakanal, sind aber auch im Moment zu Hause, weil ein Familienmitglied unerwartet starb. Ein Pärchen lebt so hier mal da, auf dem Boot und an Land und das Boot wird wohl verkauft. Auf El Hierro und den Kapverden trafen sich dann die toughen Jungs, Einhandsegler bzw. Einhandsegler mit Crewmitglied. Ein Segler ist im Moment in Berlin und hat es zumindest schon bis nach Französisch-Guayana geschafft – dabei immerhin 7 Mitsegler gehabt, die nicht ganz einfach waren, der andere ist auf den Marquesas nach 48 Tagen Singlehans im Pazifik angelangt und ist ganz schön frustriert, wie man aus seinem Blog herausliest. Ein weiterer Segler, der nach der Weltreise mit Frau und Kind, nun sein Boot mit Chartergästen in die Karibik schippert (bekannt aus seinem Blog in der Yacht), leidet auch ganz schön und wünscht sich manchmal zu seiner Familie (wie ich auch herauslesen kann aus seinem Blog). Allen gemeinsam haben sie die laufende Repariererei an dem Boot – und das an den schönsten Plätzen der Welt. Einer sprach mir aus dem Herzen, „die Kulissen verschieben sich, das Boot bleibt gleich, an Land zu gehen ist meist mit Risiken verbunden“ (siehe oben), für das Kennenlernen von Kulturen fehlt die Zeit und die Nähe zum Land und den Menschen. So trifft man sich, im „internationalen Schrebergarten“ – lustiger Begriff – und ist wieder unter sich. Von dem internationalen Schrebergarten hätten wir manchmal gerne profitiert, ab Sardinien waren wir eigentlich alleine, ab und zu mit vereinzelten Seglerfreunden, das wir sehr genossen haben, Stephan traf ab und zu jemand auf den Kanaren und den Kapverden, aber in Brasilien wurde es wieder einsam – außer seinen netten Bootsnachbarn, die mit ihm auch über den Atlantik segelten und neben denen Stephan und Bernhard in Salvador lag. So hält sich das Kennenlernen der Kulturen doch sehr in Grenzen, denn das Boot verlangt alle Aufmerksamkeit und da es das Fortbewegungsmittel und Haus ist, braucht es immerwährende Pflege. Sonst wäre die Segelreise schnell zu Ende. Und selbst wenn man das möchte, ginge es nicht, denn man kann ja sein Boot nicht einfach irgendwo hinstellen und abhauen. Da ist ja ganz viel von sich selbst drin.

Nun habe ich einen langen Blogeintrag verfasst und habe mir einmal alles von der Seele geschrieben, wie ich die Situation heute sehe. Wir haben uns für dieses Leben selbst entschieden. Wie viele Menschen haben nicht die Wahl, sind krank geworden, haben einen geliebten Menschen verloren, sind auf der Flucht. Wenn ich das bedenke, werden meine Sorgen und Bedenken ganz klein und irrelevant. Ich habe sehr viel Glück gehabt, Stephan, der mir keine Vorwürfe macht, liebe Menschen, die mir weiter helfen und meine eigene Gesundheit, damit ich wieder hier an Land an Kraft gewinne.

Wer sich mehr für Abenteuer interessiert, der kann ja diesen Blogeintrag einfach überlesen.

Liebe Grüße von

Nela

 

1 Kommentar

  1. Anonymous

    Moin Nela, moin Stefan,

    ganz so schutzlos und ohne Möglichkeiten ist die brasilianische Küste auf der weiteren Strecke nicht.

    Jenseits seines jetzigen Ankerplatzes gibt es z.B.

    – den Hafen von Imbituba, der bietet hinter seiner Mole nicht viel für einen Segler, aber: er bietet guten Schutz. Beim Ankern aufpassen, es gibt ein paar Spots, wo der Anker nicht greift, sonst ein problemloser Hafen, in dem auch Fischer gerne Schutz suchen.
    – dann kommt das Städtchen Laguna. Die Einfahrt in die Lagune (führt durch zwei lange, in die See gebaute Molen), ist allerdings nur bei ruhigen Seegangsverhältnissen möglich. Bei unguten Verhältnissen können hier Grundseen stehen.
    – Rio Grande do Sul. Man liegt beim Instituto Hydrografico kostenlos. Einfahrt ebenfalls durch zwei weit in die See hinausgebaute Molen. Da es ein großer Hafen ist, ist die Einfahrt auch entsprechend groß. Dennoch besteht auch hier die Gefahr von Grundseen, auch in der Einfahrt, bei schlechten Wetterbedingungen. Bei Nacht auf unbeleuchtete Tonnen achten.

    Notfalls, bei Fragen, kontaktet uns und weiter viel Spaß und Erfolg.
    Liebe Grüße
    Martin und Anke

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